Es gibt Geschichten, die uns glauben lassen, wir befänden uns in einem düsteren Roman. Doch manchmal sind die verstörendsten Erzählungen keine Fiktion, sondern geschehen Tag für Tag, oft im Schatten wachsender Märkte und gut gemeinter Ideale. Eine solche Geschichte erzählt die dänische Investigativjournalistin Dorrit Saietz in ihrem aufrüttelnden Buch „Das Adoptionsgeschäft – Den Eltern entrissen, als Waisen verkauft“, erschienen bei uns im Jim Humble Verlag. In diesem Buch legt sie offen, wie internationale Adoptionen für Kinder, ihre Herkunftsfamilien und auch für Adoptiveltern zum Albtraum werden können.
Ein Fall, der alles veränderte
Auslöser ihrer Recherchen war das Schicksal der äthiopischen Geschwister Amy und deren kleine Schwester. Die Mädchen sollten in Dänemark ein neues, sicheres Zuhause finden. Als die Adoptiveltern jedoch mit der lebhaften, damals zehnjährigen Amy nicht zurechtkamen, gaben sie sie kurzerhand an die Behörden ab. Ein Kind, entwurzelt aus seiner Heimat und seiner Familie, stand plötzlich alleine im dänischen Pflegesystem. Dorrit Saietz folgte den Spuren der Vergangenheit, reiste nach Addis Abeba und fand Amys Mutter! Sie war verzweifelt, doch voller Hoffnung, irgendwann wieder von ihren Töchtern zu hören. Dieser persönliche Kontakt machte sichtbar, was offizielle Akten verschleiern: Amy war nie Waise. Sie hatte eine lebende Mutter, eine liebevolle Familie und Erinnerung an ein Zuhause, das ihr auf dem Papier aberkannt worden war.
Schwache Gesetze treffen auf starke Interessen
Im globalen Süden existiert häufig eine eher „schwache“ Form der Adoption: Die leiblichen Eltern behalten grundsätzlich ihre Rechte und verstehen die Adoption als befristete Unterstützung. Sobald ein Kind aber das Herkunftsland verlässt, wird daraus in westlichen Staaten eine „starke“ Adoption, die sämtliche Familienbindungen kappt. Genau hier setzt der Mechanismus des Kinderhandels ein. Vermittelnde Agenturen versprechen den Familien Versorgung, Bildung und regelmäßige Updates. In Wirklichkeit endet jede Spur – oft für immer.
Äthiopien wurde Anfang der 2000er Jahre zu einem Hotspot internationaler Adoptionen. Europäische und amerikanische Agenturen errichteten Niederlassungen, während in entlegenen Dörfern sogenannte „Scouts“ nach Kindern suchten, die auf dem internationalen Markt gefragt sind. Viele Eltern unterschrieben Papiere, die sie nicht einmal lesen konnten. Die Nachfrage aus reichen Industrienationen wuchs schneller als jede Möglichkeit seriöser Kontrolle. Als Saietz in Kopenhagen alarmierende Artikel publizierte und der Dokumentarfilm Mercy Mercy ähnliche Missstände belegte, geriet das System ins Wanken. Dänemark stoppte schließlich sämtliche Adoptionen aus Äthiopien, später auch aus Nigeria. Doch der Profitdruck war so groß, dass einige Vermittler einfach in andere Länder auswichen.
Humanitäre Fassade, profitgetriebene Praxis
Dorrit Saietz zeigt, wie das wohlmeinende Mantra „Wir wollen Kindern helfen“ zu einem Geschäftsmodell werden konnte. Eine Auslandsadoption kostet Adoptiveltern je nach Land bis zu 40 000 Euro. Ein großer Teil fließt an Gutachter, Anwälte, Dolmetscher und Vermittlungsagenturen, die von diesen Gebühren leben. Hinter dem Schleier der Barmherzigkeit verbergen sich also veritable Wirtschaftsinteressen. Währenddessen zahlen die wahren Opfer, Kinder wie Amy aus Äthiopien, einen unermesslichen Preis: den Verlust der eigenen Kultur, der Identität und oft sogar der eigenen Familie.
Reformen und ihre Grenzen
In Skandinavien führte die Debatte zu strengeren Kontrollen. Doch selbst dort wurden abgeschlossene Fälle kaum aufgearbeitet. Weltweit fehlt es an rechtlichen Instrumenten, nachträgliche Aufklärung zu erzwingen und Entschädigungen zu bewilligen. Die betroffenen Kinder kämpfen häufig ohne institutionelle Hilfe um ihre Rechte. Einige Adoptiveltern, die vom Skandal erfuhren, wagten den Schritt, nach den Wurzeln ihrer Kinder zu suchen. Die Mehrheit blieb jedoch passiv, nicht selten aus Angst vor bürokratischen Hürden oder einer möglichen Zerstörung des Familienfriedens.
Was bedeutet das für zukünftige Adoptionen?
Saietz plädiert weder für ein pauschales Verbot noch für Sorglosigkeit. Stattdessen fordert sie einen Paradigmenwechsel: Jede Adoption sollte das letzte Mittel sein, wenn alle innerfamiliären und regionalen Optionen nachweislich ausgeschöpft sind. Außerdem müssten staatliche Institutionen, nicht private Agenturen, sämtliche Kosten tragen, um Profitanreize auszuschließen. Solange Geld fließt, bleibt das Risiko, dass Kinder zur Ware werden und elterliche Not für einen Markt missbraucht wird, der sich selbst humanitär nennt.
Dorrit Saietz bittet Sie, innezuhalten und Fragen zu stellen:
- Ist das Kind wirklich verwaist?
- Wurden alle lokalen Hilfen geprüft?
- Könnte Ihre Unterstützung nicht besser darin bestehen, Familien im Herkunftsland zu stärken, statt ein Kind zu entwurzeln?
Wer helfen möchte, findet zahlreiche Alternativen, von Patenschaftsprogrammen über Bildungsfonds bis hin zu Projekten, die Mütter finanziell unabhängig machen. Oft genügen vergleichsweise geringe Mittel, um Kindern in ihrer gewohnten Umgebung eine Zukunft zu sichern.
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